10.10.17

Fahrradhauptstadt Berlin - Jetzt aber wirklich!

Eins vorweg, die Berliner*innen fahren schon seit vielen Jahren Rad. Und in den letzten Jahren auch immer öfter. Aber noch nicht genug.

Eigentlich ist Berlin eine gute Stadt zum Radfahren, sie ist ziemlich flach und trotz der Größe der Stadt findet man das meiste, was man braucht, von Schule und Kita bis zum Einkaufen nicht allzu weit weg. Was beim Radeln stört, ist der oft kräftige Wind und … die eher bescheidene Infrastruktur für Radfahrer*innen. 2004 und 2013 erarbeiteten die jeweiligen Stadtregierungen Radverkehrsstrategien mit viel schönem Text zur Bedeutung des Radfahrens und Maßnahmen, die dazu dienen sollten, den Radverkehrsanteil am Modal Split bis 2025 auf mindestens 20% zu erhöhen. In der Realität lag der Radverkehrsanteil 1998 bei 10%, 2008 bei 13% und 2013 erneut bei 13%. Diese Zahlen wurden nicht von Radaktivist*innen veröffentlicht, sondern von der zuständigen Senatsverwaltung. Sie zeigen deutlich, dass, milde ausgedrückt, beim Radverkehr noch viel Luft nach oben ist. Die  im Landeshaushalt jährlich bereitgestellten 3-5 Millionen Euro für die „Verbesserung der Infrastruktur für den Radverkehr“ und 2 Millionen Euro für die Reparatur von Fahrradwegen wurden über viele Jahre nicht ausgeschöpft, z.B. weil das Personal zur Planung der Arbeiten fehlte. Immerhin fand von 2002 bis 2012 bei den auf der Fahrbahn markierten Radfahrstreifen eine Verdreifachung der Länge statt. Die Länge der „baulich angelegten Radwege“ – das sind Radwege, die von der Fahrbahn getrennt sind – wuchs nur um 10%. Inzwischen wird es zur Hauptverkehrszeit nicht nur auf der Straße, sondern auch auf den Radwegen voll. Zudem blieb die Zahl der im Straßenverkehr verletzten und getöteten Radfahrer*innen über viele Jahre gleich hoch, während die Gesamtzahl der im Verkehr zu Schaden Gekommenen gesunken ist. Im vergangenen Jahr (2016) kamen in Berlin 17 Radfahrer*innen ums Leben, deutlich mehr als im Durchschnitt der vergangenen Jahre.

Dass es so nicht weitergehen kann, ist klar. Dass sich von allein nichts ändert, wohl auch. So dachten 2016 auch die Initiatoren des Volkentscheids Fahrrad. Innerhalb von nur vier Wochen sammelte die Initiative im Juni 2016 100.000 Unterschriften. Das war fünfmal so viel, wie in Berlin für die erste Stufe eines Volksentscheids gebraucht werden. Weil im September 2016 Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus stattfanden, blieb die Sache zunächst einmal liegen, was die Initiatoren des Volksentscheids zu einer Untätigkeitsklage veranlasste.

Mittlerweile ist viel geschehen: Der neue Senat hat im April die Eckpunkte für ein Radverkehrsgesetz genannt und im Juli dann schließlich den Gesetzesentwurf vorgestellt. Dazu gehört  die Schaffung eines Radverkehrsnetzes, das schnelles, bequemes und sicheres Radfahren in Berlin ermöglicht. Für Strecken mit besonderer Bedeutung, z.B. für Pendler*innen, soll ein Vorrangnetz ausgewiesen werden, das beschleunigt ausgebaut wird. An wichtigen Umsteigepunkten zum ÖPNV und im öffentlichen Raum sollen neue Radabstellanlagen eingerichtet werden. Insgesamt wird sich Berlin der „Vision Zero“ verpflichten – das heißt, dass die Zahl der im Verkehr getöteten und schwer verletzten Personen auf null gesenkt werden soll. Mit all diesen Maßnahmen setzt sich Berlin jetzt ein noch ehrgeizigeres Ziel für den Anteil des Radverkehrs: Bis 2025 soll er innerhalb des S-Bahnrings 30% erreichen und 20% im gesamten Stadtgebiet.
Das Gesetz soll Ende des Jahres verabschiedet werden. Ob dies tatsächlich geschieht bleibt abzuwarten. Heinrich Strößenreuther, der Initiator der Initiative Volksentscheid Fahrrad, ist dabei zuversichtlich. Dies könnte erklären, warum Strößenreuther letzten Monat unerwartet bekannt gab, sein Ehrenamt niederzulegen und das obwohl das Gesetz noch nicht verabschiedet ist.